Eine Weihnachtsgeschichte von Ursula Wohlrab
Advent, die Zeit der Besinnung! Weihnachten, das Fest der Liebe!
Mir kommt die Adventszeit eher vor, wie die stressige Vorbereitung einer Megahochzeit und das Weihnachtsfest selbst, wie die Hochzeit, bei der das Brautpaar einfach nur froh ist, wenn es in die Flitterwochen fliegen kann...
Ich bin nicht verbittert, aber zugegeben ein wenig desillusioniert.
In dem Jahr in dem mein Partner verstorben ist, war es mir nicht möglich Weihnachten zu feiern. Im Jahr darauf habe ich viele Dinge, die ich stets für selbstverständlich gehalten habe überdacht. Unter anderem auch das Thema Weihnachten. Mir wurde bewusst, dass die meisten der erlebten Festtage nichts mit Frieden und Freude zu tun hatten. Im Gegenteil, sie waren geprägt von Stress, Rennerei und dem Wissen bei aller Vorbereitung und Perfektion doch etwas vergessen zu haben. Zusätzlich endeten die meisten mit einem Streit, mindestens einer Person die frustriert den Raum verließ und dem Wunsch nach Erholungsurlaub.
Wenn ich heute darüber nachdenke, was Weihnachten für mich bedeutet, dann ist es ein Gefühl. Es ist ein Fest, das ich mit Menschen, die mir etwas bedeuten verbringen möchte. Es ist ein Anlass Menschen zu beschenken, ihnen damit zu zeigen, wie wichtig sie mir sind und wie dankbar ich bin, dass es sie gibt. Es ist eine Zeit der Freude, der Ruhe und Besinnung auf das Wesentliche. Eine Zeit des Innehaltens und auch des Überdenkens.
Soweit zumindest in meiner Phantasiewelt, die Realität sieht jedoch irgendwie meist anders aus:
Ein Weihnachtsgeschichte von Ursula Wohlrab
Die Adventszeit ist eine Zeit des Hetzens, Rennens, voller Stress und schlechter Laune. Eine Zeit der aufgesetzten Fröhlichkeit, wenn man sich auf einem der überfüllten Weihnachtsmärkte verabredet, was zeitlich irgendwie reingequetscht werden muss, denn eigentlich hat man noch so viel zu tun. Neben der Arbeit, die vor Weihnachten gerne mal doppelt so viel ist wie sonst, stehen verpflichtende Weihnachtsfeiern von Firmen und Vereinen an. Der Haushalt muss auf Hochglanz geputzt werden, damit die kommenden Verwandten nichts zu beanstanden haben. Alles muss liebevoll dekoriert und Plätzchen wollen gebacken werden. Das Einkaufen von Adventskalendern ist Pflicht, selbstgebastelt ist so was von out. Es müssen schon Schmuck- und Bierkalender her, damit die Augen wenigstens für einen kurzen Moment strahlen.
In überheizten und mit Menschenmassen vollgestopften Einkaufsmeilen und Geschäften, werden pro Person mehrere Geschenke mit einem Mindestwert erworben. Es muss auf jeden Fall mehr und teurer als im letzten Jahr sein. Etwas selbstgemachtes kommt auch hier nicht in Frage. "War ich dir nicht mehr wert als diese dumme Decke, an der du ein Jahr lang gearbeitet hast?" Nein, es muss schon etwas Besonderes (teures) sein. Am besten allerdings etwas, das umgetauscht werden kann. Man trifft ja so schwer den Geschmack. Gleich einen Gutschein wählen? Nein, dann könnte ich ja gleich Geld schenken, das geht gar nicht!
Wieder Zuhause wartet das Geschenkpapier. Den Verpackungsservice im Geschäft zu nutzen ist nicht angemessen, da zu unpersönlich und außerdem war der Stand dermaßen überfüllt...
Sowieso schon völlig gestresst, müssen noch die ungeliebten Geschenke der letzten Jahre, welche in den Keller verbannt wurden, hervorgesucht, gereinigt und ansehnlich platziert werden. Ein Unterfangen das nicht so einfach ist, da Tante Ernas Vase so gar nicht in die perfekt eingerichtete Wohnung passen will. Doch egal, was sein muss, muss sein.
Dann folgt der (Alp)Traum vom Baumkauf. Kerzengerade soll er sein, voll bestückt, aber mit genug Platz für die Dekoration. Natürlich wird der perfekte Baum einem vor der Nase weggeschnappt, weil der liebe Ehegatte mal wieder nicht schnell genug war. Ehefrau Hildegard ist beleidigt, Ehemann Hubert genervt. Das dumme grüne Ding passt nicht in den Kofferraum, nadelt schon jetzt und hinterlässt einen fetten Harzfleck im heiligen Auto.
In eisigem Schweigen endet die freudige Fahrt vor dem geschmückten Reihenhaus. Der Baum muss platziert werden. Er ist zu groß, und zu breit für die Haustüre und zu klein und zu schmal für das Wohnzimmer. Nach dem Aufstellen ist er dann auch noch, wie nicht anders erwartet, schief. Wenn Frau nicht alles selber macht. Türen knallend verlässt der Göttergatte das Haus und flieht in die Kneipe um die Ecke, in der er auf etliche seiner Leidensgenossen trifft.
Währenddessen zerrt Ehefrau Hildegard den Weihnachtsschmuck hervor, welcher trotz guter Verpackung mit einer dicken Schicht Staub überzogen ist. Also heißt es erneut putzen. Um in Stimmung zu kommen wird erstmal eine Flasche Sekt geöffnet und ein bisschen Weihnachtsmusik herausgesucht. Auch da kommt natürlich immer das falsche Lied, doch nach dem zweiten, dritten Glas Sekt ist das dann auch schon egal. Bei der zweiten Flasche wird selbst die verknotet Lichterkette dem Gatten nicht zum Strick gebunden, sondern geduldig entheddert. Behände wird die Leiter bestiegen und der nicht nur schiefe, sondern jetzt auch schwankende Baum geschmückt. Beim Lichtertest geht ausnahmsweise alles gut. Jede Lücke der Tanne ist mit Schmuck gefüllt und Mutter Hildegard mit Sekt.
Beim Blick auf die Uhr wird diese jedoch mit einem Schlag nüchtern. Die Zeit rennt! Und wie ein aufgeschrecktes Huhn rennt nun auch Hildegard vom Wohnzimmer in die Küche. Das Festtagsessen macht sich ja nicht von alleine und wie stets, wenn man ihn braucht, glänzt Hubert mit Abwesenheit und die Nachkommen Marie und Jahn sind ebenfalls unauffindbar. Jede kleine Sekunde Zeit zwischen dem Kochen wird nicht zum Durchatmen, sondern zur perfekten Gestaltung des Esstisches genutzt.
Zwischenzeitlich wagt sich der Herr des Hauses in bierbenebelter Weihnachtsstimmung durch die Haustüre. Sein Vorsatz nicht zu streiten, sondern die Gattin liebevoll in den Arm zu nehmen schwindet, als diese keifend auf ihn zustürmt und ihn mit Aufgaben überhäuft. Wäre er doch nur in seiner Stammkneipe geblieben.
Abgekämpft, schlecht gelaunt, zerstritten und ohne Vorfreude auf den kommenden Abend wird geduscht und das Weihnachtsornat angezogen. Der ein oder andere Lebkuchen hätte es vielleicht doch nicht sein dürfen. Der Hosenbund zwickt und der Pullover spannt, da heißt es Luft anhalten bis man am Esstisch sitzt und den Hosenknopf unauffällig öffnen kann...
Kaum angezogen klingelt es schon an der Türe. Eltern, Schwiegereltern, Oma und Opa, Tante Erna und Co. kommen pünktlich, zu früh. Wo stecken eigentlich diese vermaledeiten Kinder? Unter lautem Hallo, wie schön dass wir uns endlich wieder sehen, Küsschen rechts, Küsschen links, kämpft man sich durch den engen Flur und begräbt das mittlerweile aufgetauchten Fräulein Tochter unter einem Berg Jacken während Junior, der sich dummerweise aus seinem Zimmer gewagt hat, mit Hüten und Taschen jonglieren muss.
Schnatternd wie eine Gänseschar betritt man das weihnachtlich strahlende Wohnzimmer. "Hildegard, das hast du perfekt hinbekommen", säuselt Schwiegermutter Gertrude. "Wobei der Baum könnte natürlich etwas gerader sein und Staub hattest du schon noch wischen können" weicht das säuseln einem zischen, als der Blick auf das allerletzte Staubkorn, welches sich auf den Fernsehbildschirm geschlichen hat, fällt. "Nächstes Jahr kommen wir einen Tag früher, dann helfe ich dir beim Saubermachen, alleine schafft das eine so beschäftigte Frau wie du ja gar nicht". 3 zu 0 für Schwiegermutter und das in nicht mal 5 Minuten...
Die mittlerweile erneut aufgetauchten Nachkommen der Familie werden zum Kellnern und Häppchen herumreichen abkommandiert, während Mutter zurück in der Küche, ihre bitterböse Antwort auf Schwiegermutters Spitze herunterspült und sich dem Anrichten des Essens widmet. Perfekt! Suppe und Nachtisch stehen bereit. Der Braten ist butterweich, die Knödel und das Gemüse auf den Punkt, sogar die Soße ohne ein einziges Klümpchen und für das schlechte Gewissen leuchtet ein bunter Salat. Alles riecht verführerisch und sieht bezaubernd aus.
Mit einem lauten, es ist angerichtet, ruft Hildegard ihren Lieben zu Tisch. "Ja aber das ist ja gar keine Gans, warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte dir eine schlachtfrisch von unserem Bauern vorbeigebracht. Oder besser noch zubereitet, ihr jungen Leute habt ja keine Zeit mehr für alte Traditionen..." 5 zu 0 für Schwiegermutter.
Quatschend und in einem Tempo, als hätte man seit letztem Weihnachten nichts mehr zu essen bekommen, werden die Schüsseln und Teller leergeputzt. "Oh, kein Nachschlag mehr da? Na macht nichts, ich muss eh auf meine schlanke Taille achten. Das solltest du übrigens auch meine Liebe, du hast ein wenig zugelegt wie mir scheint". Erneut zwei Punkte für Schwiegermutter. Wenn das so weiter geht bricht sie den Punkterekord vom Vorjahr noch vor dem Nachtisch.
Nachdem sich die geliebte Sippe auf der Couch verteilt hat, beseitigt Mutter Hildegard das Chaos vom Esstisch und die Jüngsten des Hauses übernehmen erneut die Dienstbotenaufgaben. Vater Hubert macht es sich indessen in seinem Lieblingssessel gemütlich und nimmt dankend die Komplimente für Dekoration, Speis und Trank entgegen.
Nach einem weiteren Glas Sekt, ein paar Tränen der Wut und Verzweiflung und dem folgenden vertuschen der verräterischen Spuren, tritt die Herrin des Hauses mit aufgesetztem Lächeln und klingelndem Glöckchen in der Hand zurück in das Wohnzimmer. Dieses hat sich mittlerweile in ein stickiges heißes Loch verwandelt. Onkel Emil hat natürlich, trotz der Bitte es zu unterlassen, seine guten Zigarren mitgebracht und sitzt paffend vor dem Fernseher. Ein Fenster öffnen ist nicht möglich, da Oma Inge von frischer Luft Schnupfen bekommt.
Tief durchatmend, was sich als Fehler entpuppt, krächzt Mutter, "Bescherung..." Im selben Moment bricht ein Tornado los. Das sehnlich gewünschte, besinnliche auspacken, voller Freude und Dankbarkeit entwickelt sich zu einem Reißen und Rupfen. "Ah!", "Oh!", "…wie schade, ich wollte doch…", "Ui, ist das nett!", "Da wäre ich nie draufgekommen, was für eine reizende Überraschung!" Und folgend der schnelle Rückzug auf die Couch, an der mittlerweile ein Mont Everest von Plätzchen wartet.
"Ich will ja nicht drängen, doch meinst du nicht es sei langsam Zeit für das Abendessen?", flüstert Schwiegermutter gerade laut genug, damit es alle hören können, als sich Hildegard sich ein paar Minuten hinsetzen möchte.
Somit startet das Küchenballett erneut. Dank der Hilfe der Kinder, die es nicht abwarten können sich nach dem Essen endlich zu verdrücken, blinkt und blitzt der Esstisch nach nur wenigen Minuten neu gedeckt und wartet voller Speisen auf die offensichtlich ausgehungerte Meute. Ausnahmsweise hat selbst Schwiegermutter nichts zu meckern, doch der Frieden trügt:
Das besinnliche Thema Weihnachten ist mittlerweile abgegrast und weicht dem Thema Politik und Sport. Es war nicht zu vermeiden und doch wäre es so schön. Nach nur wenigen Minuten entfacht sich ein unschönes Streitgespräch zwischen Vater und Sohn. Onkel Emil mischt energisch mit während sich die dazugehörigen Damen nun ebenfalls in die Haare bekommen.
Mutter Hildegard lehnt sich an einem Kecks knabbernd und Sekt schlürfend im Stuhl zurück. Jetzt kommt für sie der schöne Teil des Heiligen Abend: Besinnliches Live TV auf untersten Niveau und das ganz ohne den Fernseher einzuschalten...
Eine wirklich wahre Geschichte. Das ist nicht der Sinn von Weihnachten. Das einzig wahre Geschenk ist Zeit, die man mit der Familie und den Freunden
AntwortenLöschenverbringt, und nicht nur an Weihnachten.
Da bin ich ganz deiner Meinung. Weihnachten ist nur eine zusätzliche Gelegenheit dafür!
LöschenLiebe Ursula, das war ein trauriger Schock, zu erfahren, dass Ihr Mann verstorben ist. Ich habe gerne seinen Humor bei Facebook (Brigit Te) verfolgt, habe die Fotos von Ihnen beiden gesehen, Fotos von Glück und Liebe. Dann nichts mehr, ich dachte an eine schwere Erkrankung. Und dann viel mehr Ihrer Zeichnungen, diese schönen Zeichnungen, in denen man wieder Kind sein will. Ich wünsche Ihnen Liebe, Kraft und Inspiration, seien Sie fest umarmt Brigitte Viala und zu Weihnachten wir gehören zu den Weihnachtsmuffeln, das heißt, die Tage sind wie immer, in Ihrer Weihnachtsgeschichte finden wir uns nicht wieder, unser Sohn hat dafür tiefstes Verständnis und die Verwandtschaft akzeptiert oder lebt im Stillen Ozean, französische Insel. Auf meiner Facebook Seite drückt Tomi Ungerer in etwa aus, wie wir Weihnachten fliehen.
AntwortenLöschenLiebe Birgit, ich war sehr erschrocken als ich deine Nachricht unter meinem Blog gelesen haben. Mit Alexander ist alles in Ordnung, dh. er ist erkrankt, aber es ist nichts lebensgefährliches. Ich spreche vom Tod meines Partners vor Alex, das ist schon einige Jahre her. Würde Alex etwas passieren, wäre ich nicht mehr in der Lage zu malen oder gar zu posten. Ich liebe ihn über alles. Er ist einfach mein Mensch und ihn zu verlieren, allein der Gedanke ein Alptraum. Liebste Grüße und verzeih den Schreck, Uschi
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