Hausfrauen Kunst und Kothaufen

 

Kundenauftrag: Zwei gerahmte Bilder in A4. Die einzige Motivvorgabe sind zwei Wichtel und Fliegenpilze. Sofort arbeitet mein Gehirn und produziert zwei Skizzen, die noch während des Chats mit der Kundin von ihr abgenommen werden.Ich liebe diesen Auftrag. Er entspricht dem einem Teil meiner Kreativität zu 100 Prozent. Illustrationen im Stil von Kinderbüchern. Eine heile Welt, lieblich und süß, gerne spannend aber mit Happy End.

Diesem Part steht das genaue Gegenteil gegenüber: Unkanalisiertes, ungeplantes Erschaffen, tief aus meinem Inneren heraus. Oft großformatig, selten schön, meist verstörend und brutal ehrlich.

Während ich über die beiden Seiten nachdenke, erinnere ich mich an eine der schlimmsten und prägendsten Situationen in meiner künstlerischen Karriere:

Voller Tatendrang und Selbstvertrauen hatte ich mich von meiner Arbeit im Büro abgemeldet um zu einer Kunstmappen Besprechung in einem der in Deutschland bekanntesten Kunstinstitute zu gehen. Das Ziel, endlich den verhassten Job gegen die geliebte Kunst einzutauschen.

Ich betrat den Raum voller ebenfalls Hoffender. Eine Mappe nach der anderen wurde von dem anwesenden Professor begutachtet. Keine von Ihnen konnte vor seinem strengen Auge bestehen. Ich wurde immer kleiner. Als meine Mappe drankam, sah er Blatt für Blatt durch, blickte mich über den Brillenrand an und murmelte abfällig Hausfrauenkunst. Damals brach für mich eine Welt zusammen.

Noch heute, Jahrzehnte danach sitzt jener Professor auf meiner Schulter und flüstert diese Worte in mein Ohr. Was genau er damit meinte, habe ich erst sehr viel später verstanden. Doch zurück zu diesem verhängnisvollen Tag.

Während ich noch meine Bilder zusammensuchte, die verstreut auf dem Tisch lagen, wurde die Tür aufgerissen. Einer der Bewerber hatte sich verspätet. Der eisige Blick mit dem er empfangen wurde, machte ihm nicht das geringste aus. Er drängte sich vor und präsentierte statt einer Mappe ein Einmachglas, in dem ein wohlgeformter Haufen Kot schwamm. Während wir alle angewidert einen Schritt zurück traten leuchteten die Augen des Professors auf und er jubelte "Das ist es, das ist Kunst!"

Das war eindeutig zu viel für mich. Ich verließ fluchtartig den Raum und ging zurück in meinen Büroalltag. Ich glaubte nicht mehr daran, dass ich gut genug für eine Karriere in einem künstlerischen Bereich sein könnte. Wenn ein Haufen Kacke Kunst sein sollte, dann verstand ich diese Welt nicht. Ich verpackte meine Malsachen und verstaute sie in einen Schrank, wo sie immer mehr verstaubten obwohl mir das Malen fehlte.

Heute, Jahrzehnte später habe ich verstanden was dieser Professor meinte. Ihm ging es nicht um den Kothaufen. Es ging und geht um Begeisterung, Mut, Ausdruck, das Innere, nicht um Schönheit, nicht um das, was alle machen oder mögen. Es geht um das was ganz tief verborgen in einem ist, das hervorbricht oder unter großem Schmerz geboren werden muss. Etwas das weder gelenkt noch aufgehalten werden kann. Etwas das nicht gemocht werden muss und oft provokant ist. Etwas das gesagt oder getan werden muss, ehe man wieder zur Ruhe kommen kann.

Ich durfte diese Erfahrung zum ersten Mal vor 8 Jahren, in einer sehr schweren depressiven Phase, erleben. Ich konnte nicht mehr sprechen und all das Angestaute brach aus mir heraus um sich in etlichen Kohlezeichnungen zu zeigen. Eine nach der Anderen entstand, während ich nassgeschwitzt vor den Papieren kauerte. Ohne wirklich hinzusehen, nur spürend, gefangen in einer Welt die nichts außer dem Erschaffen zuließ.

Es entstand dabei nicht das übliche Schöne und Vorzeigbare, sondern hässliche, aber ausdrucksvolle und auf den Punkt gebrachte Portraits. Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal in meinem Leben die Hausfrauenkunst hinter mir gelassen und einen Haufen Scheiße eingesammelt habe.

Diese Energie ist berauschend. Leider kann ich sie nicht einfach aktivieren. Sie kommt unerwartet, unpassend und unaufhaltsam. Dann muss ich alles stehen und liegen lassen, meinen aktuellen Zustand ignorieren und mich ihr hingeben. Ich finde keine Ruhe und bin unerträglich bevor es nicht vollbracht ist. Meistens krieche ich danach zitternd und ausgelaugt in mein Bett und schlafe bis sich der Körper einigermaßen erholt hat. Glücklicherweise hat mein wundervoller Mann dafür Verständnis und ich zusätzlich mit meinen Illustration einen Gegenpart. Ich glaube ohne die Ruhe und den Frieden der einen Welt, könnte ich mich nicht in die Andere begeben.

Auch wenn die Stimme des Professors mich heute oft noch hemmt und unsicher macht, bin ich, nachdem ich sie nun verstanden habe, für die Erfahrung dankbar. Ich werde niemals ein gefeierter Künstler werden, da dazu eine Menge Selbstvermarktung und ein ausschließliches Leben für die Kunst oder das was daraus gemacht wird nötig ist. Ich weiß aber, dass ich trotz meiner ewigen Selbstzweifel gute Bilder erschaffe und das es das ein oder andere gibt, das mehr als das ist. 

Die Hausfrau in mir schreit, dass musst du löschen, du klingst arrogant. Doch der Künstler in mir hält ihr den Schnabel zu und drückt auf Enter...

Kommentare

  1. Liebe Ursula,
    Ich habe keine Ahnung vom Malen. Aber beim lesen Deiner Zeilen bin ich doch auf so viel Vertrautes gestoßen. Das Gefühl, wenn die Kreativität die Oberhand gewinnt. Der Moment indem man das Gefühl hat, mit dem Universum auf gleicher Wellenlänge zu sein. Wo alles stimmig ist, und in kürzester Zeit erstaunliche Dinge entstehen, die man später oft gar nicht mehr so nachvollziehen kann. Und diese an Verzweiflung grenzende Situation, wenn sich diese Momente einfach nicht festhalten oder auf Wunsch abrufen lassen.
    Ich habe mein Ventil in der Musik gefunden. Ich bin sicher weit davon entfernt, ein guter Musiker zu sein. Aber die Texte und Töne die ich in solchen Momenten erschaffe, sind unglaublich erfüllend und drücken meist genau aus, was ich empfinde, aber im Alltag meist nicht kommunizieren kann. Es ist ein Weg, der Depression das Wasser abzugraben. Sie macht es einem schwer, weil sie genau weiß, dass das Abrufen von Kreativität selten dann klappt wenn man es braucht. Aber in dieser Situation macht das Zurückblicken Sinn. So erkenne ich, dass das Gefängnis in meinem Kopf Tür und Schlüssel besitzt. Sie sind nur nicht ständig greifbar.
    Pass auf Dich auf, und gib niemals auf!
    Liebe Grüße
    Sven

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  2. Lieber Sven,
    meine Antwort kommt ein wenig spät, doch besser als gar nicht. Ich habe mich sehr über deine offenen und ehrlichen Worte gefreut. Das Gefühl, wenn die Kreativität die Oberhand gewinnt ist magisch. Ich bin unendlich dankbar dafür und möchte es nicht missen. Manchmal ist es schwer darauf zu warten. In den Zeiten, wenn meine Depression und die Erkrankung ME/CFS mich voll beanspruchen, habe ich Angst nie wieder Kreativ sein zu können. Deine Worte in dieser Situation zurückzublicken, um zu erkennen das es eine Tür und einen Schlüssel gibt, sind ein schönes Bild, an das ich denken werde, wenn es wieder soweit ist. Ich wünsche dir und deinen Lieben ein frohes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch, Gesundheit und sende liebe Grüße! Ursula

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